Adressaten

Das Training richtet sich an die potenziellen ZuschauerInnen von Gewalt und Bedrohung. Jede/r von uns gehört zu dieser Zielgruppe. Wir alle sind gefährdet, angesichts der Bedrohung anderer passiv zu bleiben, denn bei den meisten Menschen gibt es eine Diskrepanz zwischen Einstellung („selbstverständlich würde ich helfen“) und tatsächlichem Verhalten. Das Training ist für Erwachsene und nicht für Kinder oder Jugendliche, da einige Übungen eine gewisse Reife und Persönlichkeitsstärke der TeilnehmerInnen voraussetzen.

Theoretische Grundlagen

Das Training beruht auf einem sozialwissenschaftlichen Konzept von Zivilcourage und einem sozialpsychologischen Prozessmodell der Hilfeleistung.

Zivilcouragiertes Handeln ist nach Nunner-Winkler (2007) durch zwei Kriterien gekennzeichnet, der Orientierung an zivilgesellschaftlichen Werten und dem praktizierten persönlichen Mut. Unter zivilgesellschaftlichen Werten werden kollektiv geteilte politisch-moralische Grundüberzeugungen verstanden (Nunner-Winkler, 2001).Aus sozialpsychologischer Sicht sind Einstellungen eine Grundlage zivilcouragierten Verhaltens (Labuhn, 2004). Neben der positiven Bewertung demokratischer und humanitärer Rechte umfassen diese Einstellungen etwa die Ablehnung von Diskriminierung sozialer Gruppen und den Gewaltverzicht. Die Orientierung an übergeordneten Normen wie Humanität und Demokratie kann es erfordern, mit situationsbedingten Normen (meist weithin akzeptierte gesellschaftliche Regeln wie z. B. der Schutz der Privatsphäre) zu brechen. Dringt das Geräusch von Schlägen und Weinen aus einer fremden Privatwohnung, wäre es ein positiv zu bewertender Normverstoß, an der Tür zu klingeln. Persönlicher Mut ist ein weiteres Definitionsmerkmal zivilcouragierten Handelns, da dieses mit schwer zu kalkulierenden Risiken und manchmal mit Nachteilen für den Akteur verbunden ist. Verhalten ist dann zivilcouragiert, wenn es das öffentliche Eintreten für eine/n Schwächere/n oder ein Opfer bedeutet. Die angegriffene Person oder Gruppe muss nicht notwendigerweise anwesend sein, sie kann auch kognitiv repräsentiert sein, z. B. in der Empathie mit einer Gruppe, die in Stammtischparolen diskriminiert wird.

Gleiches gilt für einen indirekten Täter im Falle einer institutionalisierten Diskriminierung, z. B. durch Behörden.

Zusammenfassend bedeutet sozial mutig zu handeln, aktiv und sichtbar für menschliche und demokratische Werte und gegen die Verletzung der Integrität und der legitimen Interessen anderer (aber auch der eigenen) Person/en einzutreten und dabei auch persönliche Risiken und Nachteile einzugehen (vgl. auch Meyer, 2004, S. 10).

Das Prozessmodell der Hilfeleistung (Latané & Darley, 1970; Schwartz & Howard, 1981) bildet neben dem übergreifenden Konzept der Zivilcourage eine weitere theoretische Grundlage des Trainings. Das Modell bildet den individuellen Entscheidungsprozess ab, der zum hilfreichen Eingreifen in Gewalt- und Bedrohungssituationen führt. Eine solche Situation muss zuerst bemerkt und anschließend dahingehend interpretiert werden, dass sie Hilfeleistung erfordert. Dann muss persönliche Verantwortung für eine mögliche Intervention übernommen und die Bereitschaft entwickelt werden, gegebenenfalls Nachteile in Kauf zu nehmen.

Die potenziell eingreifende Person muss über die notwendigen persönlichen Ressourcen und Kompetenzen verfügen, um die geeignete Handlungsweise auszuwählen und schließlich öffentlich auszuführen.

Das Modell verdeutlicht, dass Helfen keineswegs selbstverständlich ist, sondern dass potenzielle HelferInnen Hindernisse (d.h. Ablenkung, pluralistische Ignoranz, Verantwortungsdiffusion, Kompetenzmangel und soziale Hemmung) überwinden müssen, bis sie tatsächlich aktiv werden.

Mit dem Training möchten wir die TeilnehmerInnen für die Stufen des Prozessmodells der Hilfeleistung sensibilisieren. Den TrainingsteilnehmerInnen soll in einzelnen, den Prozessstufen zugeordneten Übungen gezeigt werden, wie sie die Hindernisse auf dem Weg zur Hilfeleistung meistern können.

Ziele des Trainings

Das Training soll zur Gewaltprävention beitragen, indem es für Umstände, in denen Menschen diskriminiert, unterdrückt und angegriffen werden, sensibilisiert und zu mutigem Eingreifen anregt. Sozialer Mut ist nicht nur angesichts des gewaltbereiten Rechtsextremismus notwendig, sondern in vielen alltäglichen Lebenssituationen, in denen Feindseligkeit und autoritäre Einstellungen gegenüber Schwächeren oder bestimmten sozialen Gruppen zum Ausdruck kommen. Typische Beispiele sind Gewalt gegen Kinder, die Abwertung von Homosexualität oder die Diskriminierung behinderter Menschen. Das Ziel des Trainings besteht darin, den Blick für bedrohliche, Zivilcourage erfordernde Situationen zu schärfen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Das Training soll den einzelnen TeilnehmerInnen nicht nur mehr Wissen über Zivilcourage vermitteln, sondern sie dazu ermutigen, das passive Zuschauen zu überwinden und im Alltag Zivilcourage zu zeigen.